Willkommen
„Künstler wird man durch Entschluss, nicht durch Talent.“
Dieses Zitat stammt vom Künstler Tim Ulrichs (geboren 1940 in Berlin).
Ich, geboren 1954 in Wien, bin Sozialarbeiter, Psychotherapeut und Supervisor. Nach meiner Pensionierung habe ich den Entschluss gefasst, (auch) Künstler zu sein.
Als mein Freund Willi Tauber mich bat, einen Text über seine Skulpturen zu schreiben, brachte er mich – den bekennenden Banausen in Sachen bildnerischer Kunst – in Verlegenheit. Bald hatte ich aber einen Einfall, von dem ich annahm, dass er mir helfen könnte, von der Literatur aus eine Brücke zu Willis wunderbaren Holzskulpturen zu schlagen.
Im ersten Buch seiner Metamorphosen beschreibt Ovid den Mythos von Daphne und Apoll, der sich – nachdem ihn ein Pfeil des Liebesgottes getroffen hatte – unsterblich in die schöne Nymphe verliebt, zu seinem großen Unglück aber auf keine Gegenliebe stößt. Er beginnt sie zu verfolgen, vermutlich, um sie zu vergewaltigen – in ihrer Verzweiflung bittet Daphne ihren Vater, den Flussgott Peneus, sie in einen Baum zu verwandeln.
Kaum ist die Bitte gesprochen, befällt eine Starre die Glieder
Die Haare werden zu Laub, die Arme zu Zweigen
Der flinke Fuß steckt nun in zähen Wurzeln
Einen Baumwipfel trägt das Gesicht als letzten Rest ihrer Schönheit
Auch so liebt sie Apoll und seine Rechte, die er an den Stamm legt
Spürt noch immer das Herz unter der Rinde …
Die Brücke von Daphnes Verwandlung zu Willi Taubers Kunst konnte ich dann aber doch nicht schlagen. Um sie zu bauen, hätte ich die Hilfe von Mythologinnen und Mythologen, Kunstwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern etc. gebraucht. Ich kann aber immerhin – mehr oder weniger stichwortartig – jene Gedanken aufzählen, aus denen ich diese Brücke zusammensetzen wollte.
Das Material für Willis Skulpturen sind Baumstämme. Bäume faszinieren uns durch die Spannung zwischen der Festigkeit ihrer äußeren Gestalt und den, wenn auch sehr langsamen, Veränderungen durch ihr Wachstum. Vielleicht liegt am Ursprung des Daphne-Mythos genau diese Spannung zwischen Bewegung, Leben und Wachstum auf der einen, Festigkeit und Starre auf der anderen Seite. Noch den gefällten, „toten“ Baumstamm nehmen wir – anders etwa als Objekte aus Metall oder Plastik – als lebendigen wahr. Und dieses ohnehin schon zwischen Bewegung und Starre, zwischen Leben und Tod oszillierende Material wird in Willi Taubers verspielten Händen noch einmal und auf andere Weise lebendig – es bekommt ein Gesicht.
Übrigens fiel mir die Vorstellung, Apoll hätte Daphne auch noch als Baum zu lieben vermocht, immer schwer.
Auch so liebt sie Apoll …
Spürt noch immer das Herz unter der Rinde
Nachdem er die Zweige wie Glieder
Mit seinen Armen umfangen
Gibt er Küsse dem Holz
Peneus verwandelt seine Tochter auf ihre Bitte hin in einen Baum. Willi Tauber macht es in gewisser Weise umgekehrt. Die Gesichter, in die er seine Baumstämme verwandelt, können zwar nicht im herkömmlichen Sinne als schön bezeichnet werden – ihre Liebenswürdigkeit hat mir aber geholfen, die Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft in Bezug auf die Liebesfähigkeit Apolls ein Stück weit zu überwinden.
Sama Maani
Sama Maani ist mir ein lieber Freund. Selbst wenn ich ihn nicht leiden könnte, müsste ich anerkennen, dass er ein großartiger Schriftsteller und bedeutender Intellektueller ist. Er ist Psychiater, Psychotherapeut und gefragter Vortragender. Seine langjährige Erfahrung als Psychoanalytiker und seine iranisch-österreichischen Wurzeln fließen in seine Texte ein. Erwähnt seien seine Romane „Žižek in Teheran“, „Teheran Wunderland“ und „Ungläubig“. Er schreibt auch Essays über Politik, Kunst, Literatur und Geschichte, außerdem Erzählungen wie jene über den „Heiligenscheinorgasmus“. Lesen Sie seine Bücher. Ihre Synapsen werde es Ihnen danken. Mehr dazu hier:
https://www.drava.at/buch/warum-uns-der-iran-nicht-wurscht-sein-sollte-und-sigmund-freud-und-robert-musil-auch-nicht/
Das war mein Text über Sama Maani bis er mir seine Assoziationen zu meinen Skulpturen (siehe oben) geschickt hat. Ich habe mit einer Mail geantwortet:
Lieber Sama,
So gut, wenn auch leider nicht so schön lobhudeln wie Du kann ich schon lange, muss dazu aber meinen Text über Deine Literaturproduktion verlängern:
Ich habe in Sama Maanis Essaybänden „Warum ich über den Islam nicht mehr rede (Schwierige Meinungen über Politik, Kunst, Literatur und Geschichte)“ und „Respektverweigerung (Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht.)“ geblättert. Auf der zufällig aufgeschlagenen Seite 57 des letztgenannten Bandes, erschienen 2015, lese ich: „Am Tag der Veröffentlichung des sogenannten Goldstone-Reports über den Gaza-Krieg traf ich meinen israelisch-österreichischen Freund, nennen wir ihn U., einen Schriftsteller in einem Wiener Cafe. ….“
Ich bin wenig erfreut, dass Sama mich erinnert, dass es auch 2008 einen Gaza-Krieg gegeben hat. Erfreut bin ich aber darüber, wie Sama Maani (und sein Freund) das Thema behandeln. Beide erweisen sich als umfassend gebildet und empathisch. Die Reise geht zurück ins siebente Jahrhundert und wieder in die Gegenwart. Neben historischen Bezügen fließen Aspekte der Psychoanalyse ein. Zitatenreich werden politische, philosophische und soziologische Überlegungen berücksichtigt. Verknüpft mit Samas eigener Lebensgeschichte entsteht auf wenigen Seiten ein vielschichtiges Mosaik. Wer glaubt, über die Frage der Abgrenzung von Täter und Opfer genug zu wissen, wird hier eines Besseren belehrt.
Wie über den Nahostkonflikt schreibt Sama Maani auch über den Iran. Themen wie Identitätspolitik, Eurozentrismus, cancel culture, kulturelle Aneignung, Glück und Genuss in der Kunst, Psychothrapie und viele mehr beschäftigen ihn. Auch wenn er aktuelle Ereignisse zum Ausgangspunkt nimmt, werden seine Essays auf Grund seiner Herangehensweise zeitlos. Sama Maani ist ein durch und durch politischer Kopf und eine Psychoanalytiker mit Leib und (no na) Seele. Man soll seine Essays lesen. Man kann sie auch mehrmals lesen.
Ich hoffe, dass vom Lobhudeln nur das Lob übrig bleibt.
Willi Tauber